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2. Rolle



Die Sümpfe der Verdammten hatten ihren Namen daher, dass sie früher genau das waren, wonach sie klangen. Hier waren die von Rechts wegen zum Tode Verurteilten kurzerhand im Sumpf versenkt worden. Doch in den Zeiten von König Wotan, des Wüterigen, hatte das etwas überhand genommen. König Wotan hatte es nicht ausstehen können, wenn jemand ihn kritisierte. Er hatte es auch nicht ausstehen können, wenn man ihm nicht gehorchte. Er hatte es nicht einmal ausstehen können, wenn jemand besser aussah als er selbst. Genau genommen hatte er sogar überhaupt niemanden ausstehen können. So dass es eine Zeit lang verboten war, nicht König Wotan zu sein.

In jener Zeit hatten sich die Leiber in den Sümpfen so hoch gestapelt, dass die neu Verurteilten nicht mehr zu Boden sinken konnten. So war man dazu übergegangen, die Sümpfe gleich ganz trocken zu legen und auf ihnen einen Kurort zu eröffnen. Das mit dem Kurort erwies sich in dem Sinne als günstig, da es wegen der Ex-Sümpfe noch immer genug Mücken gab, so dass sich Leute mit Bluthochdruck jede Nacht einen halben Liter Blut abzapfen lassen konnten. Und Leute mit Übergewicht wurden zum Abnehmen in diese Gegend geschickt, da an einigen Stellen die noch immer an die Oberfläche tretenden Sumpfgase ihnen für Wochen den Appetit verderben konnten.

Es lebte sich ganz gut im Sumpf der Verdammten. Und wer dort wohnte, gab dem Ort auch nicht diesen unangenehm klingenden Namen, sie nannten ihn liebevoll SuDeVe. Man baute riesige Tempel für die Götter und feierte nächtelang Orgien, bei denen der Wein in Strömen floss. Man baute sich Villen mit vergoldeten Dächern und erfand Hunderte von Rezepten zur Zubereitung von Ameisenzungen. Man ließ sich in sechstürigen Luxussänften durch die Stadt tragen und wurde im Großen und Ganzen dick und fett. Doch die soziale Nahrungskette hatte in dieser Gegend auch ein anderes Ende.

Bekanntlich wird Milch beim Herannahen von Gewittern sauer. Da über den Sümpfen der Verdammten wegen des feucht-warmen Sumpfklimas täglich Gewitter hernieder gingen, hatte die Evolution im Laufe der Jahrtausende in dieser Gegend eine Ziegenart hervorgebracht, die sich dieser Situation angepasst hatte und von vorn herein nur noch saure Milch gab: Die Gewitterziege. Weil die Gewitterziege mit der sauren Milch nichts anfangen konnte, hätte die Evolution an dieser Stelle ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt, wenn sie nicht gleichzeitig ein Wesen hervorgebracht hätte, das mit der Gewitterziege in Symbiose lebte. Das war der Gewitterziegenhirte.

Die Gewitterziegenhirten waren etwa halb so groß wie Menschen, hatten runzelige, kahle Köpfe und behaarte Füße mit lederartigen Sohlen, so dass sie nur selten Schuhe trugen. Sie lebten am Rande der an die Ex-Sümpfe grenzenden Wälder in kleinen Hütten, die sie sich aus Torf zusammengebaut hatten. Sie neigten zu rundlichen Figuren und waren bekannt dafür, dass sie stets schlechte Laune hatten. Vor allem aber waren sie bekannt für ihre genetisch bedingte Sturköpfigkeit. Denn die Gewitterziegenhirten hatten es sich in den Kopf gesetzt, genießbare Milch von einer Gewitterziege zu bekommen. So hegten und pflegten sie ihre Herden, trieben sie täglich auf die saftigsten Weiden und päppelten sorgsam die Zicklein auf. So wie es ihre Großväter und Urgroßväter schon getan hatten, und deren Großväter und Urgroßväter und deren Großväter und Urgroßväter. Es kam zwar immer nur saure Milch aus den Ziegen, doch irgendwann einmal, so waren sich die Gewitterziegenhirten sicher, würden ihre Ziegen eine erstklassige Milch geben. Man durfte halt nur nicht zu früh die Geduld verlieren.

Auch Pano war ein solcher Gewitterziegenhirte. Wie die anderen Hirten ging er täglich auf den Gewitterziegenhirtenmarkt, um dort seine Milch zu verkaufen. Gewöhnlich blieben die Hirten dort unter sich. So rauchten sie gemeinsam ihre Torfpfeifen, erzählten sich, wie viel schöner der Regen in der Gegend früher war, denn heute, da wäre es nichts mehr mit dem Regen, und sowieso, die Sümpfe wären früher viel sumpfiger gewesen, und überhaupt, wie gut nur, dass die Ziegen demnächst ordentliche Milch geben würden, nach so vielen Jahren des Wartens würde die ein Vermögen wert sein. Anschließend kauften sie sich dann gegenseitig etwas Milch ab. Nach einem kompliziert ausgeklügelten System, das dafür sorgte, dass am Ende jeder genauso viel Milch gekauft hatte, wie er zuvor verkauft hatte.

Und wenn Pano abends nach Hause kehrte, wartete er vor seiner Torfhütte hoffnungsvoll auf die Rückkehr seiner Herde, kratzte sich nachdenklich seine faltige Glatze und starrte ungläubig in den Regen. Ungläubig deshalb, weil er nicht verstehen konnte, weshalb es so viel regnen musste. Wozu all das Wasser? So viel konnte es doch gar nicht zum Putzen geben (man muss vielleicht dazu sagen, dass Pano ein recht küchenzentrisches Weltbild hatte. Seine Mutter war Köchin gewesen, und so hatte Pano bis zu seinem vierten Lebensjahr niemals die Küche verlassen, in der seine Mutter gearbeitet hatte. Deshalb hatte er damals begonnen, sich die Welt mit dem zu erklären, was er in der Küche vorfand. Bis heute glaubte er noch, dass die Götter den Regen auf die Erde spritzten, um den Fußboden der Erde wischen zu können. Ebenso glaubte er, dass die Sonne jeden Abend nur deshalb erlosch, weil irgend ein Trottel schon wieder vergessen hatte, Brennstoff nachzulegen, und dass das Meer eine große Fischsuppe war, die schon fertig gesalzen, aber noch nicht fertig gekocht war (zumindest schmeckten die Fische aus diesem Meer noch recht roh)).

"Wie war die Milch heute?" fragte er dann, wenn seine kleine Tochter Penelopa mit den Ziegen nach Hause zurückkehrte. Sie war nicht wirklich seine Tochter gewesen. Er hatte sie eines Tages als Baby im Wald gefunden, doch da er glaubte, dass die Babys wie Pilze im Wald unter den Bäumen wuchsen, hatte er sie einfach gepflückt und mit nach Hause genommen. "Sauer", erwiderte Penelopa dann. Sie war jetzt vielleicht sechs Jahre alt und kaum größer als die Ziegen. Da sie aber grässliche Grimassen schneiden konnte, mit denen sie die Ziegen vor sich hertrieb, machte sie eine ordentliche Hirtin her. "Das liegt alles nur an diesen verdammten Gewittern!" fluchte Pano, goss sich aus einem Krug etwas saure Ziegenmilch in einen Becher und blickte böse in den Himmel, in dem die Gewitterwolken eine Vollversammlung abhielten. "Na ja, das wird schon werden."

"Könnten wir uns nicht einmal eine Kuh kaufen?" fragte Penelopa trotzig. Sie hatte gehört, dass Kühe eine ganz leckere Milch geben sollten. Sie hatte zwar noch nie Kuhmilch getrunken geschweige denn eine Kuh gesehen, doch die saure Ziegenmilch hing ihr langsam aus den Ohren heraus.

"Ein Kuh?" rief Pano böse. "Bei meiner Gewitterziegenhirtenehre, eine Kuh kommt mir nicht ins Haus! Ich bin Gewitterziegenhirte, mein Großvater war Gewitterziegenhirte, dessen Großvater war Gewitterziegenhirte und dessen Großvater war Gewitterziegenhirte. Unsere Vorfahren haben jahrhundertelang dafür gearbeitet, dass unsere Ziegen eines Tages eine gute Milch geben würden, und ich soll nun kurz, bevor es soweit ist, eine Kuh kaufen?"

Vor ein paar Jahren hatte einer der Gewitterziegenhirte tatsächlich einmal eine Kuh gekauft und auf die Weide getrieben. Die anderen Gewitterziegenhirten waren sehr erbost darüber gewesen, dass jemand aus ihren Reihen mit den uralten Traditionen brechen und nicht mehr auf die normale Milch gebende Gewitterziege warten wollte. Sie hatten zusammengelegt, damit ein Zauberer den Hirten in einen Esel verwandelte. Doch da sie alle immer nur die ekelige saure Milch auf dem Markt verkauften und deshalb arm waren, kam nicht viel zusammen. Der Zauberer, den sie anheuerten, hatte ihnen erklärt, dass das Geld nicht ausreichen würde, um einen Hirten komplett in einen Esel zu verwandeln. Die paar Moneten hatten nur für ein bisschen Esel ausgereicht. Ein ganz klein bisschen. Ein einzelnes Eselsohr. Das linke.

"Wie war die Milch heute?" fragte Pano, als Penelopa ein anderes Mal von der Weide heimkehrte.

"Sauer", erwiderte Penelopa. Sie war jetzt in einem undefinierbaren Alter (Penelopa konnte lediglich bis zehn zählen, und alles, was darüber lag, war für sie daher undefinierbar) und träumte noch immer davon, eine Kuh zu haben. Sie war einfach keine richtige Gewitterziegenhirtin. Sie war ja nicht einmal klein und runzelig wie ein normaler Gewitterziegenhirte, sondern pausbäckig und rosa. Sie hatte Haare auf dem Kopf und dafür nackte Füße. Und inzwischen war sie bereits einen Kopf größer als Pano, dem auch schon aufgefallen war, dass sie irgendwie sonderbar ausschaute. Und nicht nur das. Sie benahm sich auch sonderbar. Nicht nur, dass sie die blöden Ziegen am liebsten längst gegen die Wand geklatscht hätte. Sie hasste es auch, sich über die unterschiedlichen Qualitäten von Regenwolken zu unterhalten. Sie hasste es, es sich wie ein ordentlicher Hirte vor seiner Torfhütte bequem zu machen, die Beine auf einem Torfstuhl auszustrecken, sich etwas Torf in die Pfeife zu stecken und zu versuchen, diese trotz Regens am Brennen zu halten.

Stattdessen setzte sich Penelopa an ihren freien Tagen viel lieber in die Straßen von SuDeVe und bestaunte mit offenem Mund die bunt gekleideten Leute, die sich in vergoldeten Sänften umhertragen und gelegentlich ihre Träger laut röhrend und mit quietschenden Schuhsohlen zum Überholen antrieben. So ein Leben hätte sie auch gern einmal geführt.

Inzwischen war klar geworden, dass Penelopa gewitterziegenhirtenmäßig gesehen ein Desaster war.

"Das liegt alles nur an diesen verdammten Gewittern", sagte Pano, goss sich aus einem Krug etwas saure Ziegenmilch in einen Becher und blickte in den Himmel, der gerade auszuprobieren schien, wie viele Regenwolken man auf eine Quadratmeile Freifläche quetschen könnte.

Normalerweise fand Penelopa, dass das überhaupt nichts miteinander zu tun haben würde, doch diesmal nickte sie nur nachdenklich und trieb dann wortlos die Ziegen in den Stall. Denn als sie heute dabei gewesen war, ihre Ziegen zu melken, war plötzlich ein Mann vor ihr stehen geblieben und hatte sie mit offenem Mund angestarrt. Sonst war sie es immer, die die reichen Leute anstarrte, nicht umgekehrt. Der Mann schien aus der Stadt zu kommen, er sah aus wie eine Eule und war elegant gekleidet, ohne dass er protzig wirkte wie die Leute aus SuDeVe (wo es gerade der neueste Schrei war, sich Goldstaub ins Haar zu kämmen). Vermutlich war er hier, um eine Diät zu machen. Zumindest hätte Penelopa eine Diät gemacht, wenn Sie so dick gewesen wäre wie er.

Dennoch verwirrte es sie, so angestarrt zu werden. Ohne zu wissen, weshalb. Doch dann wurde ihr bewusst, was sie gerade tat, und sie konnte nachvollziehen, dass man sie anstarrte wie ein Käsebrötchen auf der Suche nach einem Partner für den Tangokurs an der Sumpfhochschule. Es war wirklich kaum zu glauben, dass sie noch immer ihre Zeit damit verplemperte, eine nutzlose Herde Gewitterziegenhirten zu hüten. Als Stadtmensch wusste man vermutlich, was für ein Unsinn das war.

"Na ja", sagte sie, "wir Gewitterziegenhirten glauben, dass das irgend wann einmal doch noch mal was wird mit der Milch."

"Hmpfreghslk..." erwiderte der Mann.

"Ja, sie haben recht", gab Penelopa zu. "Im Grunde genommen ist das Blödsinn. Aber was soll ich machen?"

"Gnmprfghhngj..." antwortete der Mann.

"Ja, das könnte man tun, aber ich bin mir nicht sicher, ob Gnmprfghhngj zu machen tatsächlich besser ist."

"Hnjgrhft..."

Als Penelopa am nächsten Morgen mit ihren Ziegen auf die Wiese zurückgehrte, saß der Mann dort bereits und schien auf sie zu warten. Ein reichte ihr eine dicke gelbe Blume, die er vermutlich kurzfristig auf der Wiese gepflückt hatte. Denn die war voll davon.

"Komm mit mir, und ich mache dich zur Königin von Atlantis", sagte er.

Penelopa schaute ihn verblüfft an. Konnte man das als akzeptable Anmache gelten lassen? Immerhin klang es besser als: "Ich mache dich zur Hirtin für meine Gewitterziegenherde". Eine Kuh statt der Gewitterziegenherde, klar, das wäre was anderes gewesen.

"Oder willst du ein Leben lang diese komischen Ziegen hüten?" fragte der Mann.

Natürlich wollte Penelopa das nicht. Eine Kuh, falls das noch nicht erwähnt worden ist, … aber ich glaube, das hatten wir schon.

"Wenn du mitkommst, wirst du nie wieder diese Ziegen hüten müssen. Du wirst über die Menschen von ganz Atlantis herrschen. Du wirst ihre Königin sein."

Penelopa hatte keine Ahnung, was eine Königin eigentlich sein sollte. Über Menschen herrschen? Die taten doch sowieso alle, was sie wollten. Außer, dass sie sich nicht immer Kühe kaufen durften, wenn sie es gern getan hätten.

"Werde ich eine Kuh haben?" fragte Penelopa.

"Ja", erwiderte der Mann überrascht. "Ja, ja, viele Kühe, wenn du willst."

Das klang schon mal nicht schlecht.

"Und ich kann jeden Tag Milch von richtigen Kühen trinken?" fragte sie weiter.

"Du kannst jeden Tag in Milch baden, wenn du willst", meinte der Mann.

Penelopa gewöhnte sich an den Gedanken, dass das Ganze tatsächlich angenehm sein könnte.

"Du lebst in einem riesigen Schloss und hast viele Diener", sagte der Mann, "und abgesehen davon, dass du hin und wieder ein paar Leuten freundlich zulächeln musst, hast du eigentlich nichts weiter zu tun."

"Und in dem riesigen Schloss gibt es keine Gewitterziegen?"

"Bisher ist mir zumindest noch keine begegnet."

Penelopa beschloss, dass sie überzeugt war. Gute Milch und Kühe und keine Ziegen, das was mehr, als sie sich in ihrem bisherigen Leben erhofft hatte. So trieb sie ihre Herde nach Hause, verabschiedete sich von Pano (wobei sie, um ihn nicht zu kränken, ihm erzählte, dass sie sich aufmachen würde, um die königliche Gewitterziegenherde zu hüten), und ließ sich von einer Sänfte bis zum Schloss in der Hauptstadt bringen.


Das neue Leben, das Penelopa dort erwartete, war tatsächlich klasse. Sie durfte jeden Morgen ein Glas Kuhmilch trinken und sich Kuhbilder an die Wand hängen. Sie schlief in kuhfarbener Bettwäsche, benutzte zum Waschen Seife mit Kuhduft und spielte Blindekuh mit den Dienern. Dafür musste sie lediglich hin und wieder vor ihr Volk treten, lächeln und winken. Zumindest glaubte sie, dass das ihr Volk sein müsste, auch wenn sie eigentlich niemanden von den Leuten persönlich kannte. Agamemme, der dicke Mann, der sie in den Sümpfen angesprochen hatte, war stets bei ihr, wenn sie zu winken und zu lächeln hatte. Er redete dann ein paar gewichtige Worte zu dem, was das Volk zu sein schien, auch wenn Penelopa nicht fiel davon verstand. Sie konzentrierte sich viel lieber auf das wichtige Lächeln und Winken.

So ging die Zeit ins Land.

Zumindest drei Wochen davon.

Als Penelopa nach diesen drei Wochen einmal nichts zu Lächeln und nichts zu Winken hatte, nutzte sie die Gelegenheit, um durch ihr elendig großes Schloss zu wandern und im Schlossgarten ihre neuen, kuhfarbenen Kleider spazieren zu tragen. Wie sie so im Garten saß und einigen Kaninchen bei ihrer Diskussion über die neuesten Erkenntnisse der Verhütungsmittelindustrie lauschte, platschte ein schniker Jüngling in den Bach, der den Garten von der übrigen Stadt trennte (wobei sich ein Stein an dessen langem Schnuppertrichter eine Beule holte). Weil Penelopa von Natur aus neugierig war, begab sie sich zu dem Bach, um den Jüngling zu besichtigen.

Dieser lag bäuchlings in dem flachen Wasser, sein abgetragenes Gewand gab sich den schlängelnden Bewegungen der Flüssigkeit hin. Als er Penelopa kommen sah, verzog er seinen Mund zu einem breiten Grinsen.

"Grüß Gott", sagte Penelopa höflich.

"Werde ich tun, wenn ich ihn treffe", erwiderte der Jüngling mit einem Blick in den Himmel. "Aber mal was anderes: Könntest du mir nicht mal aus dem Wasser helfen?"

"Du hast das Code-Wort vergessen", meinte Penelopa. "Mit b fängt es an."

"Blöde Tusse."

"Nein, das war es nicht."

"Hm. Mir scheint, es ist wer faul im Staate Dänemark. Shakespeare."

"Leck mich am Arsch. Goethe."

Doch weil Penelopa in ihrem Benimmkurs einiges gelernt hatte, reichte sie ihm die Hand und zog in an das Ufer.

"Du siehst nass aus", stellte sie fest, als sie anschließend mit Besichtigen fertig war.

"Immerhin", entgegnete der Jüngling. "Die Worte, die mir zu deinem Aussehen spontan einfallen, würde ich lieber nicht aussprechen wollen."

"Werde nicht frech. Ich bin nämlich eine Königin. Ich könnte befehlen, dass man aus dir Schlagsahne macht."

"Du bist eine echte Königin?"

"Toll was? Der Abend hat noch nicht einmal angefangen, und du lernst schon eine echte Königin kennen. Besser kann der Tag gar nicht laufen."

"Du scheinst nicht viel vom Leben zu erwarten, wenn du dir nichts Besseres vorstellen kannst, als dass man deine Bekanntschaft macht."

Um zu verstehen, was hier gerade geschieht, muss man sich vor Augen halten, dass die Beziehungen der Menschen untereinander sehr komplex sind und häufig über das einfache Blume-Schmetterling-Modell hinausgehen. Eine häufig vertretene Erweiterung dieses Modells ist die Theorie des "Sich-verliebens". Dieses Sich-verlieben sieht in der Regel so aus, dass ein Mensch einem anderen etwas erzählt von wegen, er könne ohne ihn nicht mehr leben und solche Chosen, was im Grunde genommen recht widersinnig ist, weil er es bisher auch gekonnt hat. Der Grund, weshalb es die Leute dennoch machen, ist unbekannt. Einige Philosophen sehen die Ursache weit zurück in der Frühzeit der Menschheit liegen. Wenn in der damaligen Zeit ein Mensch einem anderen verklickerte, er könne ohne ihn nicht mehr leben, dann brachte er damit zum Ausdruck, dass seine Speisekammer leer war und er verhungern müsste, wenn der andere nicht auf irgend welchen Wegen in seinen Kochtopf gelangen würde. In der heutigen Zeit, in der die Möglichkeiten es sich gegenseitig Verspeisens nicht mehr gegeben sind (jede Gesundheitsbehörde würde dagegen einschreiten, weil der Mensch wegen seines hohen Schadstoffgehaltes nicht mehr den (seit damals streng verschärften) Lebensmittelnormen entspricht), hat sich, wie viele andere Rituale auch, die Sitte erhalten, so etwas ohne direkten Bezug von sich zu geben, sobald man großen Hunger hat.

Diese Theorie ist nicht unumstritten.

Es gibt aber keine bessere.

Der Grund für dieses Geschreibsel ist der, dass Penelopa und Ody (so der Name jenes Jünglings) nun dabei sind, sich ineinander zu vergucken, und dass niemand dafür eine Erklärung verlangen soll. Es gibt nämlich keine (die Tatsache, dass beide noch nicht zu Mittag gegessen haben, überzeugt wahrscheinlich niemanden). So etwas passiert eben, weiß der Geier warum, aber es passiert. Und man muss es ebenso akzeptieren wie die Tatsache, dass der Zahnarzt jedes Mal freudestrahlend ein neues Loch entdeckt, obwohl man doch schon immer die superteure Pasta nimmt, die dem pH-Wert der Zähne angepasst ist. Man muss es einfach akzeptieren, etwas anderes bleibt einem gar nicht übrig. So.

Penelopa und Ody verguckten sich also ineinander, und so war der Nachmittag erst einmal gelaufen. Für die Beiden jedenfalls.

Sie schlugen sich abseits in die Büsche, und was sie dort alles trieben, geht nur noch Penelopa und Ody etwas an (Beziehungsweise mich und die Zensurbehörde zum Schutze der Jugend).

Auf jeden Fall sollte aber noch erwähnt werden, dass es den Beiden so sehr gefallen hat, dass sie sich für die kommende Nacht noch einmal verabredeten.



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