Cartoon des Monats Archiv Der unabgeschlossene Roman Zur Theorie des Witzes Links Impressum




3. Rolle



Was gab es für einen jung-dynamischen, ehrgeizigen Jüngling in Atlantis zu tun, wenn man groß rauskommen wollte? Man konnte losziehen und ein paar Drachen erschlagen. Theoretisch. Dummerweise waren schon zu viele auf diese Idee gekommen. Daher gab es kaum noch Drachen, und die übrig Gebliebenen standen unter Naturschutz.

Man konnte losziehen und ferne Reiche erobern. Theoretisch. Dummerweise war Atlantis eine Insel und alle anderen Reiche lagen weit weg, so dass man erst einmal das Geld brauchte, um sich die Überfahrt zu leisten.

Man konnte die Welt von Jungfrauen fressenden Ungeheuern befreien. Theoretisch. Dummerweise hatte das letzte Jungfrauen fressende Ungeheuer erst neulich aufgegeben, als man ihm in dem Dorf, das es regelmäßig heimsuchte, glaubhaft versicherte, dass die dort herumlaufenden Frauen allesamt keine Jungfrauen mehr wären.

Ody war einfach zu spät geboren, um noch etwas Großes vollbringen zu können. Seine Vorfahren waren noch tapfere Krieger gewesen, die gegen Holmentrolle gekämpft und das Meer von Ungeheuern befreit hatten. Doch irgendwann waren sie träge geworden, und statt zu kämpfen erzählten sie lieber vor Publikum, wie sie gegen Holmentrolle gekämpft und das Meer von Ungeheuern befreit hatten. Das war noch ganz in Ordnung gewesen, denn das Publikum lauschte gern den Abenteuern und zahlte gut. Die nächsten Generationen waren noch träger und erzählten nur noch, wie ihre Vorfahren gegen Holmentrolle gekämpft und das Meer von Ungeheuern befreit hatten. Da zahlte das Publikum schon weniger für. Und dann die nächsten Generationen erzählten nur noch davon, wie ihre Vorfahren davon erzählt hatten, dass deren Vorfahren gegen Holmentrolle gekämpft und das Meer von Ungeheuern befreit hatten.

Damit waren sie unten angekommen.

Inzwischen hatte sich Odys Volk in den fettenden Bergen niedergelassen und begnügte sich damit, tagaus, tagein in die Stollen der Butterbergwerke zu marschieren und das Fett von den Wänden zu kratzen. Das Fett wurde dann in die Hauptstadt geliefert, wo sich die Reichen damit gern ein paar Butterberge für ihre Ziergärten machen ließen. Reich wurden die Bergleute damit allerdings nicht, oft reichte es nicht einmal für ein Stück Brot unter der Butter.

Ody war inzwischen 17 Jahre alt, jung und stark. Er wusste, dass dies nicht sein Leben sein würde. Er konnte nicht in den Butterbergwerken arbeiten bis er alt und eingefettet wäre. Er fühlte, dass er etwas Besonderes war und nicht so war wie all die Anderen. Gut, eigentlich fühlten alle Jungs im Dorf, dass sie etwas Besonderes waren und nicht so waren wie all die Anderen. Alle bis auf den Sohn des Dorftrottels, der sich für ziemlich normal hielt. Da er von allen absolut der Einzige war, der dies von sich glaubte, war eigentlich er derjenige, der tatsächlich anders war als all die Anderen.

Doch was nützte es, dass man das Zeug zu einem Helden hatte, wenn man in einem langweiligen Kaff lebte, in dem man nur seine Talente vergeuden konnte? So packte Ody seine Sachen (ein durchlöchertes Hemd und ein verrostetes Buttermesser) und machte sich auf, um in der Stadt sein Glück zu suchen. Doch auch dort schien die Sache nicht einfacher zu sein. Immer, wenn er an eine Haustür klopfte und fragte, ob man zufällig einen Helden brauchen würde, wurde er nur ungläubig angestarrt und schließlich fortgeschickt.

Monatelang zog Ody von Stadt zu Stadt, immer wieder mit dem gleichen Ergebnis. Niemand brauchte einen Helden. Nicht einmal als Halbzeitkraft. So war sein durchlöchertes Hemd noch durchlöcherter und sein rostiges Messer noch rostiger, als er schließlich die Hauptstadt von Atlantis mit ihren prächtigen Tempeln und Palästen erreichte. Resigniert trottete Ody am Rande der Altstadt entlang (in die Altstadt von Atlantis-Stadt selbst kam man nicht rein; der Legende nach wurde die Stadt an dem Ort gegründet, wo Atlanti, der Gott der eingeschlafenen Füße, eines Tages sein Lieblingswollknäuel wiedergefunden hatte; da sich dieses in einer engen, düsteren und völlig unzugänglichen Felsspalte befunden hatte, die noch nie ein Mensch betreten hatte, lag die Altstadt auch heute noch inmitten einer engen, düsteren und völlig unzugänglichen Felsspalte, die noch nie ein Mensch betreten hatte). Wäre er reich, hätte er auf die Heldenakademie gehen und dort sein Heldendiplom machen können. Wie Siegfried, der sich damit brüstete, einen Drachen erschlagen und in seinem Blut gebadet zu haben und deshalb unverwundbar zu sein (in Wirklichkeit war das nur ein Drächelchen gewesen, der ihm bis zum Knie gereicht hatte; und was er an Blut aus dem armen toten Drachen hatte wringen können, war gerade mal genug, um damit sein linkes Schulterblatt zu benetzen). Oder der tapfere Herr Schneiderlein, der behauptete, sieben Riesen auf einen Streich erschlagen zu haben (in Wirklichkeit waren es nur vier gewesen und nicht sieben, und es waren auch keine Riesen gewesen sondern harmlose Eiderechsen, und erschlagen hatte er sie auch nicht sondern nur im Kartenspiel geschlagen; er hatte diese Ereignisse lediglich etwas freier interpretieren lassen). Oder der diebische Herkules. Oder, oder. All die berühmten Helden, die genug Kohle für die Heldenakademie gehabt hatten und vor allem auch genug Kohle für die Dichter, die gut bezahlt durch das Land zogen und überall ihre vermeintlichen Heldentaten besangen.

Als Kind hatte Ody den Dichtern stets mit offenem Mund gelauscht, wenn sie ins Dorf kamen und nachts am Lagerfeuer von den großen Taten der Helden erzählten. Wie sie Jungfrauen aus den Rachen feuerspeiender Drachen gerettet hatten und mit Holmentrollen um das Schicksal ganzer Dörfer gerungen hatten. Wie sie auszogen, um neue Welten zu erobern, und alle unterwerfungswürdigen Kreaturen unterworfen, alle massakrierungswürdige Kreaturen massakriert und alle verspeisungswürdige Kreaturen verspeist hatten. Wie sie Stürmen und Feuerbrünsten getrotzt hatten und immer wieder die Welt gerettet hatten, um am Ende einsam in den Sonnenuntergang hineinzureiten, dem nächsten Abenteuer entgegen. So, das hatte er damals gewusst, würde er auch einmal sein wollen.

Und er hatte durchaus das Zeug zum Helden. Er hatte sogar schon einmal einen richtigen Holmentroll in die Flucht geschlagen, als er eines Nachts den Eingang zum Butterbergwerk zu bewachen hatte. Leider war er allein gewesen, so dass es niemand hatte sehen können. Und als er es erzählt hatte, hatte ihm niemand glauben wollen. Gut, vielleicht war ihm in jener Nacht die Phantasie ein wenig durchgegangen. Doch er hätte einen Holmentroll in die Flucht schlagen können. War es denn seine Schuld, wenn sich keiner in seine Nähe traute?

Inzwischen wusste er, dass man nicht unbedingt tapfer sein musste, wenn man zum Helden werden wollte, sondern reich. Und wenn man tapfer und reich gleichzeitig war, würde man vermutlich alle anderen Helden in den Schatten stellen. Da er bereits tapfer ohne Ende war, so überlegte er, während er müde zwischen den Tempeln dahertrottete, würde es nur noch darauf ankommen, reich zu werden.

Blieb nur die Frage, wie man reich werden konnte. Was gab es, was er konnte? Womit hätte er ein paar Taler verdienen können?

Im Grunde genommen hatte er keinen Schimmer.

So gesehen traf es sich ganz günstig, dass er genau in diesem Moment über einen Stein stolperte und in einen Bach plumpste. Denn gleich darauf lernte eine echte Königin kennen.



Zurück zur Kapitelübersicht | Zurück zur vorherigen Seite | Weiter