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4. Rolle



Das Wetter war phantastisch. Jedenfalls für Leute, die Regen liebten und die ein ordentliches Gewitter brauchten, um sich ein wenig entspannen zu können. Der Nachtwind heulte durch die Dachgiebel, bis selbst die Balken mitweinen mussten, und auf dem nahen Friedhof feierten die Ratten eine Riesenfete, weil gerade die letzte Katze der Gegend an Rattengift krepiert war. Durch dunkle Gassen schlichen Gestalten, deren Anblick bei nervlich Minderbemittelten bewirkt hätte, dass sich deren Mageninhalt aufgemacht hätte, mal kurz frische Luft schnappen zu gehen. Und in ihrem Schlafgemach lief Penelopa hin und her. Sie überlegte, was der nächste Tag an Anstrengungen bringen sollte. Aber ihr fiel nichts ein. Sie zog ihren Morgenmantel über, den mit den aufgestickten goldenen Fasanen, setzte sich vor ihren Kommodenspiegel und zupfte ihr Haar zurecht. Sie wartete, dass es Mitternacht werden wollte. Denn zu dieser Zeit sollte Ody bei ihr sein.

Einer der königlichen Zeitzähler schlug zwölfmal den Gong. Leise schob Ody die Tür auf, die Penelopa ihm offen gelassen hatte. Er horchte ein halbes Dutzend Augenblicke. Es war still. Also trat er ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

Zur gleichen Zeit stieg durch ein Fenster im Südflügel ein Kerl von einem Schrank (zwei Meter hoch, zwei Meter breit, fünfzig Zentimeter in der Tiefe). Er war der königliche Diplom-Meuchelmörder, und vor ein paar Wochen hatte ihm der Berater der Königin gesagt, dass die Königin beseitigt werden müsse. Nun gut, das war etwas ungewöhnlich, die eigene Königin zu meucheln, aber immerhin war das Meucheln sein Job, und wenn der Auftrag von oben kam, dann hatte man das zu tun und nicht zu zweifeln, ob es das Richtige war. Deshalb hatte er dem Koch der Königin ein Päckchen Typ-ex (das mit dem prima Werbeslogan "ein paar Krümel Typ-ex bloß, und schon bist du deinen Alten los") gegeben, doch die Königin war noch immer lebendig wie eine ungegessene Sahnetorte, wie der Berater der Königin ihm vor einer knappen Stunde durch einen Boten hatte mitteilen lassen.

Über den Lieferanteneingang kam unterdessen der heimliche Geliebte der Königin, der so unheimlich geheim war, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, ihm zu erzählen, dass die Königin insgeheim längst hinüber war.

Und im Nordflügel des Schlosses zerschlug gerade ein Einbrecher eine der Fensterscheiben, weil er sich dachte, dass es in einem so gewaltigen Schloss (und das Schloss war gewaltig. Es war so gewaltig, dass eines Tages sogar der Architekt des Gebäudes, als er nur mal vom Esszimmer in die Küche gehen wollte, um sich einen Salzstreuer zu holen, dass sogar dieser sich auf dem Rückweg im Gewirr der Gänge verlief und Wochen später verhungert in der Bibliothek aufgefunden worden war.) eine Menge zu holen geben müsste.

Derweil saß im schlosseigenen Tempel des Gottes der merkwürdigen Zufälle ein Kammerdiener, der nicht schlafen konnte. Er hockte gegen den Opferaltar gelehnt, eine Weinamphore zwischen den Schenkeln, und sog die Stille der Nacht in sich ein. Er kam oft hierher, er liebte die Ruhe, die von diesen Gewölben ausging, er liebte diesen riesigen Raum, in der jedes Rascheln, jedes Geräusch sich seiner Nichtigkeit bewusst wurde und in grenzenloser Ehrfurcht erstarb. Ja, die Stille und der Frieden, der sich wie Staub auf diesen Raum gelegt hatte, das war die Göttlichkeit.

Aus der dem Altar gegenüber liegenden Wand löste sich ein Schatten und verschwand durch eine Tür im Seitenschiff. Der Kammerdiener rieb sich die Augen, doch dann entschied er, dass dies eine Täuschung gewesen sein musste und schlürfte lieber weiter an seinem Wein. Danach hatte er den Eindruck, dass ein Schatten aus dem Seitenschiff linkerhand kommend dem gegenüber liegendem Seitenschiff zustrebte. Bevor er dieses jedoch erreichte, traf er auf einen zweiten Schatten, der hinter der Orgel hervorkam.

"Tschuldigung", flüsterte einer der Schatten, "wissen Sie vielleicht, wo sich das Schlafgemach der Königin befindet?"

"Das Schlafgemach der Königin? Keine Ahnung, ich bin hier auch fremd. Aber haben Sie vielleicht einen Schimmer, wo sich die Schatzkammer befinden könnte?"

"Die Schatzkammer? Warten Sie, ich glaube, da bin ich vorhin dran vorbeigelaufen. Nehmen Sie die Tür dort hinten. Dann nehmen Sie den Gang nach rechts, bis er sich teilt, und dort…hmmmm…"

"Kann ich Ihnen vielleicht helfen, meine Herren?" fragte ein Schatten, der mit forschen Schritten vorübereilte.

"Das wäre sehr nett. Der Herr hier ist auf der Suche nach der Schatzkammer. Ich bin dort bereits gewesen, doch ich kann mich nicht mehr an den Weg erinnern. Kennen Sie sich in dieser Gegend aus?"

"Jaja. Der kürzeste Weg zur Schatzkammer, da müssen Sie die Tür neben dem Reinigungsbecken nehmen, dann laufen Sie immer geradeaus bis zur Besenkammer. Dort wenden Sie sich nach links, nehmen anschließend die dritte Tür auf der rechten Seite, das ist die Wäschekammer. Die durchqueren Sie und dann nehmen Sie die zweite Tür auf der linken Seite, und Sie laufen direkt auf die Schatzkammer zu. Ganz einfach."

"Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit. Sie werden Erwähnung in meinem Nachtgebet finden."


Als die Tür einige dezente Geräusche von sich gab, sprang Penelopa erwartungsvoll auf. Doch statt Ody zwängte sich ein ein-ganzer-Kerl-dank-Chappi durch die Tür mit einem Lächeln, dem man nicht einmal sein Radiergummi hätte anvertrauen mögen. Mr. Chappi schloss die Tür und kam mit gewichtigen Schritten auf Penelopa zu. Diese wich zurück, bis es nicht mehr weiter ging, weil die Wand hinter ihr fest entschlossen war, dort stehen zu bleiben, wo sie gerade stand.

Nur noch wenige Nasenlängen von Penelopa entfernt zog der Killer einen Dolch aus seinem Gürtel. Mit der linken Hand hob er ihr Kinn ein wenig an, um den Schnitt sauberer hinzukriegen (er hasste unsaubere Schnitte, bei denen einem das Blut auf die Kleidung spritzte, so dass man hinterher Schmutzränder auf den Gewändern hatte, weil man das Blut nicht ordentlich herausgewaschen bekam).

Penelopa, die verdammich blass um die Pupillen geworden war, durchwühlte mit zitternden Händen die Taschen ihres Morgenmantels in der Hoffnung, darin etwas zu finden, mit dem sie ihrem Gegenüber den Garaus hätte machen können. Doch außer einem gebrauchten Taschentuch fand sich dort nichts, und dieses zu werfen, hätte sie als zu unhygienisch empfunden. So begnügte sie sich damit, ein angstvolles Gesicht zu machen.

Dann holte der Typ mit dem Dolch aus.


Zur gleichen Zeit trafen im schlosseigenen Tempel zwei dunkle Schatten aufeinander.

"Entschuldigung", flüsterte der eine, "wissen Sie wie man hier in das Schlafgemach der Königin gelangt?"

"Das Schlafgemach? Da wollte schon jemand hin, mir scheint, dort ist heute Nacht Highlife mit Honigkuchen."

"Und können Sie sich erinnern, welchen Weg diese Person genommen hat?"

"Nein, keine Ahnung. Ich habe mich hier selbst ziemlich verfranst. Haben Sie zufällig eine Idee, wo sich die Schatzkammer befinden könnte?"

Derweil leerte im Hintergrund ein Kammerdiener eine Amphore Wein in den Opferaltar und schwor sich, niemals wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren.



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